Das Malerhäuschen der Freifrau Octavie de Lasalle von Louisenthal
Friedrich Ebert
Das Malerhäuschen der Octavie de Lasalle von Louisenthal
Inmitten der Ruine der Burg Dagstuhl (Hauptburgbereich) finden wir rechts neben einem in neuerer Zeit angelegten Zugang zur Ruine die Grundmauerfragmente eines vormaligen Gebäudes, das unsere besondere Aufmerksamkeit verdient. Es handelt sich nicht, wie man annehmen könnte, um die Reste eines Gebäudes, das der alten Burg zuzurechnen ist. Vielmehr dürfte es sich um ein solches handeln, das nach der Ruinierung der Hauptburg entstand. Die Ruine weckte um die Mitte des 19. Jahrhunderts auch das Interesse von Octavie de Lasalle von Louisenthal, nachdem deren Vater Wilhelm Albert de Lasalle von Louisenthal 1807 mit dem Schloss, am Fuße des Burgberges gelegen, auch das Areal der Burgruine erworben hatte. Octavie, die in München Malerei studierte, ließ wohl zur Bereicherung ihrer künstlerischen Neigungen an bezeichneter Stelle das viel zitierte „Malerhäuschen“ errichten.
Was ist bekannt ?
Was ist von diesem ‚Malerhäuschen‘ – eine Bezeichnung, die möglicher Weise noch aus dem 19. Jahrhundert stammt – bekannt? In der ‚Urkundlichen Geschichte des Kreises Merzig‘ 1 ist auch die Herrschaft Dagstuhl thematisiert. Dem Vorwort zu dieser Arbeit gegenüber gestellt ist eine Zeichnung von H.v. Dirke, Saarlouis, die neben dem Schloss Dagstuhl auch die über ihm auf einem Höhenzug vorfindliche Burgruine Dagstuhl zeigt. 2 Die Zeichnung dürfte die Situation um 1860 wiedergeben.
Unterzieht man dieses Zeichnungs-Detail einer näheren Betrachtung, so erkennt man, dass aus dem den Höhenzug knapp überragenden ruinösen Mauerwerk sich links der allseits bekannte ruinierte Südwestturm und rechts ein kleinerer, Zinnen bewehrter Turm mit einer eben solchen Mauer herausheben. Hinter dem kleinen Turm rechts ragt ein zweites, spitz geformtes Gebäude, etwa so groß wie der Turm, hervor. Einen ersten Hinweis darauf, dass die Tochter des Freiherrn Wilhelm Albert de Lasalle von Louisenthal, Octavie, im Bereich der Burg-Ruine ein ‚Häuschen‘ besaß, findet sich in einem Gästebuch 3 , das Octavie für ihre Besucher dort oben im Herbst 1834 angelegt hatte. Auf der 26. und 27. Seite dieses Gästebuches findet sich das Gedicht eines Besuchers auf dem Schlossberg. Das Gedicht umfasst acht Strophen und teilt in der 6. Strophe das Folgende mit :
‚Dir zur Seit auf Freyen Höhen,
steht ein schmuckes Häuschen klein;
nie von dir, du Stolzer, ward gesehen,
was dies Häuschen schließet ein, . . . 4
Günther Molz berichtet, dass Octavie nach dem Tod ihres Vaters 1845 ihre Kunst weit intensiver betrieben und sie sich später‚ in den Ruinen der Burg Dagstuhl ein zweites Atelier‘ eingerichtet habe. 5 Dies wird auch von J.A. Backes 6 bestätigt für den Zeitraum zwischen 1867 und 1875. Beiden Autoren ist die Existenz eines solchen Häuschens zwar bekannt, nicht aber der Zeitpunkt seiner Entstehung. Legt man den Auszug des v.g. Gästebuch-Eintrages vom ‚Juny 1840‘ zu Grunde, so ist zwar die Entstehung des Malerhäuschens nicht zu ermitteln, wohl aber der früheste Zeitpunkt seiner Existenz. Die Entstehung des Häuschens könnte man um 1840 datieren, denn nach dem Abschluss ihres Kunst-Studiums in München (1837) 7 könnte Octavie mit entsprechenden Absichten nach Dagstuhl zurück gekehrt sein.
Wie nun muss man sich das so genannte Malerhäuschen vorstellen? Günther Molz schreibt: ‚Dieses sogenannte „Malerhäuschen“, . . . war ein einstöckiger quadratischer Raum, mit mehreren spitzbogigen Fenstern. Der Bau war unter Ausnutzung der östlichen Eckbastion der Burg errichtet worden; . . .‘ 8
Aufschlussreiche Fotografien und Aussagen
August Fuisting fotografierte die Innenansicht des schon leicht ruinösen Malerhäuschens, vermutlich vor dem ersten Weltkrieg. 9 In ihm finden die spitzbogigen Fenster aus der Arbeit von G. Molz ihre Bestätigung, ebenso die dort erwähnten Wandmalereien 10 . Die Fotografie verrät allerdings nicht, ob das Gebäude eingeschossig ist. Dass der Raum quadratisch ist, konnte G. Molz nur vermuten, da zum Zeitpunkt der Entstehung seiner Arbeit eine dicke Humusschicht den Grundriss des so genannten Malerhäuschens bedeckte. Erst die Freilegungsarbeiten der Jahre 1984 bis 1991 förderte einen Grundriss zu Tage, der eine rechteckige Form hat. 11
Spärliche Reste des Häuschens sollen sich nach verschiedenen Aussagen bis in die 1930/40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erhalten haben. Die Befragung eines älteren Waderner Bürgers 12 brachte im Hinblick auf die Struktur der Gebäulichkeit weitere interessante Hinweise. So berichtete dieser, das Haus sei zweigeschossig gewesen, er habe dies so aus den 1920er Jahren in Erinnerung. Es habe sich in dieser Zeit schon deutlich in Auflösung befunden. So sei die Decke des oberen Geschosses, eine Balkendecke, bereits auf den Boden des Untergeschosses herunter gefallen gewesen. Er erinnerte sich weiter, dass an der Rückwand des Hauses eine Treppe mit Podest nach oben geführt hätte, die sich aber bereits aus ihrer Verankerung gelöst und kurz vor ihrem Absturz gestanden hätte. Diese habe sich von der Mitte der Rückwand bis zu einem Podest erstreckt, das der Ostseite gefolgt sei, von wo aus es schließlich noch wenige Stufen bis ins Obergeschoss gewesen seien.
Das Malerhäuschen gewinnt an Gestalt
Im September 1999 wurde das gesamte Ruinen-Areal des Hauptburgbereiches katastermäßig erfasst. Auf diese Weise erwuchsen zu den bereits bekannten noch weitere Bezugsmaße. Die maßliche Dimension des Grundrisses zeigt ein Gebilde, das eine Breitenausdehnung von ungefähr 5,70 Meter, eine Längenausdehnung von runden 8,00 Metern aufweist, nach Osten verlängert um die seitlich nach Norden verschobene ‚Apsis‘ 13 von ungefähr 2,20 Meter. Diese Bezugsmaße wurden nun ergänzt um die gemessenen Fenstermaße (s.o.). Ebenso in die dimensionalen Beziehungen einbezogen wurden die geschätzten Fenstermaße im Obergeschoss (vergl. Abb. 3 und 5) – sie hatten sicher die gleichen Breitenmaße wie die Fenster der Abb. 6 und 7 – sowie die angenommenen Geschossmaße. Unter Verwendung der vorgenannten Abbildungen entstand schließlich die nachfolgende zeichnerische Frontansicht des Malerhäuschens (Original-Zeichnung 1:100, hier verkleinert).
Wenden wir uns erneut zurück zu Abbildung 2, so ist zu erkennen, dass dem Häuschen (in Abb. 5 nicht zu erkennen) ein Zinnen bewehrter Turm vor gelagert war. Da eine Zeichnung, wie sie uns in Abb. 2 vorliegt, immer die subjektive Sichtweise des Zeichners, keineswegs aber das ganz realistische Bild wiedergibt, war die Suche nach einer entsprechenden Fotografie natürlich. Im Archiv Fuisting suchte ich also nach einer Fotografie, die den Schlossbereich zeigt (häufigste Aufnahme), nach Möglichkeit mit dem darüber liegenden Horizont des Schlossberges, einschließlich der Burg-Ruine. Es fand sich eine solche Aufnahme.
Äußere Baustruktur des Malerhäuschens nahezu entschlüsselt
Im Vordergrund ist der bereits erwähnte Zinnen bewehrte Turm zu erkennen, der mittig, in unterschiedlicher Höhe zwei Lichtfenster enthält. In ihm führte eine Treppe auf die Plattform des Turms. Aus den Tagebuch-Aufzeichnungen der Octavie erfahren wir: ‚am St. Annentag machte Octavie einen bösen Sturz am Fuß der Treppe zu ihrem Turm‘ 14. Neben dem deutlich nach rechts (Norden) verschobenen Turm (im Kataster-Grundriss gut festzustellen, s. Abb. 8) ist eine Zinnen bewehrte Mauer mit vier Zinnen zu sehen. Das hinter dem Turm aufragende Malerhäuschen zeigt in der Giebelwand links neben dem Turm ein spitzbogiges Fenster, in seiner Breite mit den Fenstern der Frontseite vergleichbar. Allerdings ist dieses Fenster in seinem Maß höher als die vorgenannten. Die Giebelansicht gibt auch zweifelsfrei die Dachneigung des Malerhäuschens Preis: nämlich 35°. Vermutlich ist es mit Schiefer gedeckt.
Auf Innenansichten des Malerhäuschens (s. auch Abb. 3) geht G. Molz ein. Er berichtet von Wandmalereien, die Octavie im Malerhäuschen geschaffen habe, darunter auch die Ankunft der Familie de Lasalle von Louisenthal in Dagstuhl 15 . Wappendarstellungen vormaliger Herrschaften der Umgebung sind in der oben angegebenen Abbildung (Abb. 3) zu sehen. Auch Hinweise zur farblichen Ausgestaltung des Erdgeschosses gibt es. 16
Zum rückwärtigen Umfeld ist zu sagen, dass Octavie im sicherlich auch Mauer umfriedeten Bereich auf der Nordseite ein kleines Gärtchen für Gemüse unterhielt. 17 In der Nordwestecke, in der Nachbarschaft einer dort heute noch sichtbaren Zisterne, errichtete sie ein ‚Badehäuschen‘ 18, zu dem sie durch eine Tür auf der Malerhäuschen-Rückseite gelangen konnte.
Anmerkungen
- Constantin von Briesen, Urkundliche Geschichte des Kreises Merzig, unveränderter Nachdruck der Ausgabe Saarlouis 1863, Queißer Verlag, Dillingen Saar 1980
- Ebd. zwischen den Seiten 258 und 259
- Landesarchiv Saarbrücken, Bestand: Archiv de Lasalle von Louisenthal
- Ebd. , Seite 26
- Günther Molz, Der Künstlerische Nachlass der ‚Malergräfin’ von Dagstuhl in : Zehntes Jahrbuch des Vereins für Heimatkunde im Kreis Merzig 1975, S. 120
- J.A. Backes, Oktavie de Lasalle von Louisenthal und Mutter Maria Rosa Flesch, Herausg. vom Mutterhaus der Franziskanerinnen von Waldbreitbach 1972 – Dietrich-Coelde-Verlag 476 Werl – S. 172
- wie Anm. 9, S. 121
- wie Anm. 9, S. 120
- Ein um die Jahrhundertwende in Wadern und Umgebung praktizierender Fotograf
- s. Abb. 3 Die Abbildung zeigt die Obergeschosssituation des Malerhäuschens. Die Wandmalereien auf der Abbildung sind recht gut zu erkennen.
- Willy Weinen, der die ersten Grabungen zwischen 1984 und 1991 leitete, entdeckte bei seinen Freilegungsarbeiten den Grundriss des Malerhäuschens.
- Alfred Pierron, 1911 geboren
- Willy Weinen, Grabungsleiter der Grabungscampagne 1984 – 1991 vermutet hier den Standort der Kapelle der ehemaligen Burg. Eine Vermutung, die durchaus nachvollzogen werden kann, wenn auch Beweise dazu noch fehlen.
- s. Anm. 6, S. 57
- G. Molz, s. Anm. 5, S. 307
- Willy Weinen; Die Freilegung der Burg Dagstuhl in: Dagstuhler Geschichtsbilder, Wadern 1990, S. 260, W. Weinen erwähnt eine ‚blaue Grundfarbe’, die bei den Freilegungsarbeiten hier zum Vorschein kam. Die blaue Farbe, in der das Untergeschoss gemalt war, bestätigt auch Alfred Pierron, s. Anm. 16 Er erinnere sich, dass die gesamten noch erhaltenen Erdgeschosswände in blauer (kobaltblauer) Farbe getüncht gewesen seien.
- J. A. Backes, S. Anm. 10, S. 173
- Ebd.